Das Gebäude-Wärme-Modell des Sozial-Klimarats: Ein strategischer Blick auf die Wärmewende

Wie gelingt die Dekarbonisierung des Gebäudesektors – und was kostet sie wen?

Bei der Dekarbonisierung des Gebäudesektors gibt es eine Reihe zentraler strategischer Fragen, die beantwortet werden müssen. Dabei kann eine gebäudescharfe Analyse helfen, die zeigt, welche Wärmelösung wo wirtschaftlich sinnvoll ist, wie sich Investitionskosten verteilen und welche Haushalte vor den größten Herausforderungen stehen. Aufbauend auf den Erkenntnissen der Persona-Analyse leistet das Gebäude-Wärme-Modell des Sozial-Klimarats dies durch eine systematische Analyse aller deutschen Wohngebäude.

Ein Modell, das jedes Gebäude in den Blick nimmt

Das Besondere am Gebäude-Wärme-Modell: Es arbeitet gebäudescharf für ganz Deutschland. Statt mit synthetischen Datensätzen zu rechnen, basiert es auf der Gebäudedatenbank von infas360, die alle 22 Millionen Wohngebäude in Deutschland enthält. Dabei kommt ein Mix verschiedener Datenquellen zum Einsatz: Adressen von der Post, Daten zur Energieeffizienz von Immobilienscout und Informationen zu Energieträgern vom Zensus.

Die Ergebnisse des Gebäude-Wärme-Modells beruhen auf einer breit angelegten Datengrundlage und konsistenten technischen Annahmen, die deutschlandweit vergleichbare Aussagen ermöglichen. Da nicht für jedes Gebäude vollständige Informationen vorliegen, werden fehlende Werte durch transparente Schätzverfahren ergänzt. Das Modell bildet damit eine realitätsnahe strategische Grundlage ab – ohne den Anspruch, lokale Besonderheiten oder projektspezifische Planungsentscheidungen zu ersetzen.

Wärmetypologisierung für ganz Deutschland

Auf Grundlage dieser Daten wurden die Wohngebäude entsprechend ihrer Eigenschaften einer Wärmetechnologie zugewiesen. Dabei sind drei Merkmale zentral:

Bestand an Wärmenetzen: Gebiete, in denen bereits mehr als 50% der Wohngebäude-Adressen netzgebunden sind, werden als Wärmenetzbestand klassifiziert. Hier wird eine Nachverdichtung angenommen.

Wärmedichte: Wie viel Wärme wird pro Quadratmeter Fläche benötigt? In dicht bebauten Quartieren mit hoher Wärmedichte können Wärmenetze ihre Kostenvorteile ausspielen. In Gebieten mit niedriger Wärmedichte sind dezentrale Lösungen oft wirtschaftlicher.

Bebauungsstruktur: Wie dicht ist ein Gebiet bebaut? Gibt es freie Flächen oder handelt es sich um Blockbebauung? Diese Fragen entscheiden darüber, welche technischen Lösungen umsetzbar sind.

Auf Basis dieser Clusterung weist das Modell jedem Gebäude die sozio-ökonomisch optimale Wärmeversorgungsoption zu. Dabei kommen drei Hauptoptionen zum Tragen:

  • Wärmepumpen für dezentrale Versorgung
  • Nahwärme für kleinere, abgrenzbare Gebiete mit mittlerer Wärmedichte oder Gebiete mit zu enger Bebauung für einzelne Wärmepumpen
  • Fernwärme für dicht bebaute Quartiere

Die Zuweisung erfolgt nach einer Heuristik, die Wirtschaftlichkeit und technische Machbarkeit berücksichtigt. Die Grenzwerte orientieren sich am Technik-Katalog und realen Wärmeplanungen. Das Ergebnis ist eine flächendeckende Karte der künftigen Wärmeversorgung Deutschlands.

Validierung: Der Realitätscheck

Ein Modell ist nur so gut wie seine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Deshalb wurde das Gebäude-Wärme-Modell anhand abgeschlossener kommunaler Wärmeplanungen validiert. Der Abgleich zeigt: Die Modellergebnisse stimmen in hohem Maße mit den Entscheidungen überein, die Kommunen in ihren Wärmeplanungen getroffen haben. Gebiete, die in der kommunalen Wärmeplanung als Netzgebiet ausgewiesen sind, identifiziert auch das Modell als Fernwärme-Gebiete. Dezentrale Versorgungsgebiete werden ebenfalls korrekt erkannt.

In der Tendenz wird durch unser Modell etwas weniger netzgebundene Versorgung ausgewiesen als bei den zum Vergleich genutzten Kommunalen Wärmeplanungen. Das liegt daran, dass aufgrund der Struktur der Daten Nicht-Wohngebäude mit hoher Wärmenachfrage nicht immer erkannt werden. Zudem fehlen Wärmequellen, die bestimmte Netze wirtschaftlich attraktiv machen, obwohl sie eigentlich eine zu geringe Wärmedichte aufweisen.

Berechnung der Investitionskosten

Nach der Zuweisung der Wärmetechnologien wurden für jedes Gebäude die Investitionskosten berechnet. Die Gesamtkosten setzen sich aus mehreren Komponenten zusammen:

Wärmeentstehungskosten: Für Wärmepumpen wurden gebäudetypspezifische Kostenfunktionen entwickelt, die die Installation in Abhängigkeit von Gebäudetyp und benötigter Leistung modellieren. Bei Fernwärme wird ein synthetischer Erzeugungsmix in Abhängigkeit vom jeweiligen Wärmebedarf der Kommune festgelegt.

Netzkosten: Bei leitungsgebundenen Lösungen werden die Kosten für den Netzbau auf Ebene der Straßenabschnitte ermittelt. Die Preise für Rohrleitungen werden in Abhängigkeit der geografischen Gegebenheiten differenziert abgebildet. Entscheidend ist, ob im Erschließungsgebiet bebauter oder unbebauter Boden vorliegt.

Hausanschlusskosten: Diese werden individuell für jedes Wohngebäude über die tatsächliche Entfernung zwischen Hauskoordinate und Straßenachse berechnet. Bei Fernwärme kommen die Kosten für Hausübergabestationen hinzu.

Planungskosten: Bei Fernwärme werden 25% auf die Summe aus Netzinfrastruktur, Hausanschluss und Wärmeentstehung als Planungskosten aufgeschlagen. Bei Nahwärme sind es 10%.

Stromnetzausbaukosten: Ein verstärkter Zuwachs von Wärmepumpen führt zu einem signifikanten Anstieg des Strombedarfs. Die Kosten für den Stromnetzausbau verteilen sich auf Niederspannungs- und Mittelspannungsleitungen sowie Ortsnetzstationen. Die Kalkulation erfolgt ebenfalls auf Ebene der Straßenabschnitte. Die Kosten werden um ein Drittel gemindert, da angenommen wird, dass ein Drittel des Netzausbaus durch Elektromobilität motiviert ist.

Sanierungskosten: Wärmepumpen arbeiten besonders effizient in gut gedämmten Gebäuden. Die Datenbasis für die Sanierungskosten stammt aus einer Machbarkeitsstudie für Hamburg aus dem Jahr 2024. Die Quadratmeterpreise wurden über die Merkmale Gebäudetyp, Baujahr und Sanierungszustand auf den gesamten deutschen Wohngebäudebestand übertragen. Das Modell geht vom Sanierungsziel Effizienzhaus E115 aus, was einem Energiebedarf von circa 100 kWh pro Quadratmeter Wohnfläche entspricht.

Wer die jeweiligen Investitionsbedarfe trägt, hängt von der Versorgungsart ab. Die Investition in die Wärmepumpe trägt der Haushalt weitgehend selbst, während bei leitungsgebundenen Lösungen die Infrastrukturkosten zunächst von Energieversorgern vorfinanziert und über die Wärmekosten refinanziert werden.

Was das Modell zeigt: Vier zentrale Erkenntnisse

1. Wärmepumpen dominieren bei Einfamilienhäusern – Netze bei Haushalten in Mehrfamilienhäusern

Die Gesamtbetrachtung zeigt: 53% aller Haushalte werden künftig über Wärmepumpen versorgt, 21% über Fernwärme, 12% über Nahwärme und 7% über Gebäudenetze. Diese Zahlen verdecken jedoch erhebliche Unterschiede nach Gebäudetyp.

In Einfamilienhäusern dominiert die Wärmepumpe mit 76% der Haushalte. In großen Mehrfamilienhäusern dreht sich das Verhältnis um: Hier werden 79% der Haushalte über Fernwärme versorgt, nur 9% nutzen individuelle Wärmepumpen.

Folgerung: Wärmepumpen und Wärmenetze sind komplementäre, keine konkurrierenden Lösungen. Ihre jeweilige Bedeutung hängt von der Gebäudestruktur ab.

2. Zwei Drittel der Kosten werden von Unternehmen vorfinanziert

Die Gesamtinvestitionen belaufen sich auf 1,43 Billionen Euro. Davon entfallen 984 Milliarden Euro auf Energieversorger, die diese über die Wärmekosten refinanzieren. Nur 446 Milliarden Euro werden direkt von Haushalten beziehungsweise Wohnungsunternehmen getragen.

Größte Investitionsblöcke:

  • Wärmeerzeugung: 510 Mrd. €
  • Stromnetzausbau: 426 Mrd. €
  • Planung: 246 Mrd. €

Folgerung: Die Wärmewende erfordert massive Infrastrukturinvestitionen durch Energieversorger und öffentliche Hand. Die Debatte muss sich stärker mit Refinanzierungsmechanismen und der Verbesserung der Kapitalausstattung dieser Unternehmen befassen.

3. Auch dezentrale Wärmelösungen brauchen Infrastruktur

Von den 1,43 Billionen Euro Gesamtinvestitionen entfallen gemäß der Abschätzung 429 Milliarden Euro auf den Stromnetzausbau: verteilt auf Niederspannung (197 Mrd. €), Mittelspannung (118 Mrd. €) und Hochspannung (99 Mrd. €).

Bei den Investitionskosten pro Haushalt entfallen bei einer Wärmepumpe rund 9.000 Euro auf Stromnetzkosten, zusätzlich zu den 23.000 Euro für die Wärmepumpe selbst.

Folgerung: Ohne koordinierten Stromnetzausbau ist die Anzahl von Wärmepumpen in einer Straße physikalisch begrenzt. Die Infrastrukturdimension des Stromnetzes muss in kommunalen Wärmeplanungen berücksichtigt werden.

4. Die größte Herausforderung: Einfamilienhäuser mit Sanierungsbedarf

Die Investitionskosten pro Haushalt sinken mit steigender Haushaltszahl im Gebäude. Der Unterschied ist erheblich:

  • Einfamilienhaus ohne Sanierung: 31.575 € pro Haushalt
  • Einfamilienhaus mit Sanierung: 132.500 € pro Haushalt (71% Sanierungskosten)

Die Spannweite nach Haushaltstypen reicht von 9.038 € (Single-Mieter mit guten Einkommen in Mehrfamilienhäusern) bis 154.713 € (prekäre Eigentümer in älteren Einfamilienhäusern).

Folgerung: Die finanzielle Belastung verteilt sich ungleich. Eigentümer von unsanierten Ein- und Zweifamilienhäusern stehen vor der größten Herausforderung. Dieser Effekt wird nicht durch höhere Durchschnittseinkommen in dieser Gruppe kompensiert.

Einordnung

Das Gebäude-Wärme-Modell bietet eine gebäudescharfe Analyse der Investitionsbedarfe und Kostenverteilung für die Wärmewende in Deutschland. Es ersetzt nicht die kommunale Wärmeplanung, die lokale Besonderheiten berücksichtigen muss, liefert aber eine systematische Grundlage für evidenzbasierte Politikgestaltung.

Die Modellergebnisse sind relevant für die Ausgestaltung von Förderprogrammen, die Regulierung von Wärmenetzen und die Planung von Stromnetzinvestitionen. Unterschiedliche Fragestellungen können auf Basis des Modells verfolgt werden.