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Acht Arbeitshypothesen als Diskussionsbeitrag zur sozialen Frage in der Klimapolitik
Ein Werkzeugkasten sozialer Klimapolitik
Auf dem Weg zu einem klimapolitischen Lagebild
Ziel des Personaansatzes
Die Voraussetzung für eine soziale Klimapolitik ist ein klares Bild von den unterschiedlichen Lebensrealitäten im Land. Es braucht differenzierte Lösungen, um die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Herausforderungen zu adressieren. Dafür wurden 16 Personas auf Basis eines umfassenden Datensatzes der infas 360 entwickelt. Mehr zum Personaansatz
Von Thomas Losse-Müller, Frederik Digulla
In der Klimapolitik in Deutschland geht es nicht mehr um das „Ob?“, sondern um das „Wie?“. Es besteht ein breiter Konsens in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, dass wir unsere Klimaziele erreichen müssen. Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden.
Gerade aus einer sozialen Perspektive heraus ist ambitionierter Klimaschutz unerlässlich. Die Kosten eines ungebremsten Klimawandels sind zu hoch und ungerecht verteilt. Die Menschen mit dem geringsten Wohlstand werden am stärksten darunter leiden. Das gilt für Deutschland und für die Welt.
Gleichzeitig ist nicht jede Art von Klimaschutz auch sozial gerecht. Klimapolitische Maßnahmen wirken direkt und indirekt auf die Einkommens- und Vermögensverteilung. Die Haushalte in Deutschland haben ganz unterschiedliche Voraussetzungen, klimapolitische Maßnahmen umzusetzen. Hinzu kommt eine wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Dimension. Nur wenn wir in der Klimatransformation Wertschöpfung und Wohlstand sichern, ist ein gutes Leben für alle Menschen weiterhin möglich. Eine sozial gerechte Klimapolitik muss allen Menschen, unabhängig von Einkommen, Vermögen oder Wohnort, ermöglichen klimaneutral zu leben und teilzuhaben.
Bei der Ausgestaltung konkreter klimapolitischer Maßnahmen - beim „Wie?“ - müssen wir deshalb immer die Voraussetzungen und Wirkungen auf unterschiedliche Haushalte in den Blick nehmen. Klimapolitik kann nur erfolgreich sein, wenn ihre Verteilungswirkungen und sozialen Auswirkungen objektiv und subjektiv akzeptabel sind.
Klimapolitische Maßnahmen, die auf individuelle Initiative und private Investitionen setzen, müssen so ausgestaltet sein und unterstützt werden, dass sie durch alle Adressaten umgesetzt werden können. Wo das nicht möglich ist, braucht es alternative Lösungen.
Für die Umsetzung des Ziels Klimaneutralität 2045 braucht es deshalb einen Perspektivwechsel, der sich in vier Arbeitshypothesen fassen lässt.
Die vier Arbeitshypothesen sind auf Basis von Diskussionen und Inputs aus dem Ratschlag des Sozial-Klimarats erarbeitet worden. Sie sind Hypothesen, die überprüft werden müssen. Sie stellen weder abschliessende Positionen der einzelnen Mitglieder noch eine abschliessende Position des Sozial-Klimarats dar.Der Fokus der Klimapolitik liegt nicht mehr auf den nächsten 10 Prozent Reduktion von Treibhausgasen. Es geht jetzt um die gesamten 100 Prozent. Klimapolitik muss Lösungen schnellstmöglich so konzipieren, dass sie für alle Haushalte funktionieren.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten lag der Fokus der Klimapolitik auf Innovation, Demonstrationsprojekten und dem Markthochlauf klimaneutraler Technologien. Diese Strategie war richtig und erfolgreich. Aber mit Blick auf 100 Prozent Klimaneutralität müssen wir sie - gerade auch aus einer sozialen Perspektive heraus - weiterentwickeln.
Es reicht zum Beispiel nicht mehr, die Markteinführung von Solaranlagen oder E-Autos durch die Förderung vermögender oder besonders klimabewusster Haushalte voranzubringen. Es muss heute darum gehen, mithilfe verfügbarer Technologien massentaugliche, skalierbare Lösungen für Alle zur Verfügung zu stellen.
Ein Pfad, auf dem zwar 40 Prozent aller Haushalte effizient klimaneutral werden, der aber für die verbliebenen 60 Prozent gar nicht gangbar ist, ist nicht der richtige Pfad. Im Gegenteil, wenn gemeinschaftliche Lösungen - wie zum Beispiel Wärmenetze - effektiver sind als individuelle Maßnahmen, kann ein Fokus auf wenige Haushalte gemeinschaftliche Lösungen sogar behindern.
Deshalb dürfen wir Instrumente nicht nur danach bewerten, ob sie als einzelne Maßnahme möglichst effizient CO2 einsparen. Wir müssen sie danach bewerten, ob sie einen sinnvollen Teil einer Gesamtstrategie darstellen, die allen Menschen in Deutschland ein klimaneutrales Leben ermöglicht.
Klimapolitische Strategien müssen von Anfang an Alle und das Ganze in den Blick nehmen. Eine klimapolitische Strategie, die nicht für alle Menschen Lösungen enthält und den Pfad zur Klimaneutralität klar beschreibt, können wir uns nicht mehr leisten.
Klimapolitik muss die verschiedenen Lebenslagen aller Menschen und Haushalte erfassen und in der Ausgestaltung klimapolitischer Instrumente berücksichtigen. Die Wirkungen einzelner klimapolitischer Maßnahmen sind komplex und müssen erfasst werden. Lenkungsinstrumente, wie der CO2-Preis, oder Verordnungen und Standards spielen dabei auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität eine bedeutende Rolle. Sie geben die notwendigen Rahmenbedingungen für die Investitions- und Konsumentscheidungen von Haushalten, Unternehmen und Staat vor. Preispolitik und Ordnungsrecht können aber nur erfolgreich und wirksam sein, wenn sie durch Massnahmen ergänzt werden, die sicherstellen, dass die notwendigen Investitionen auch getätigt werden können und - da wo erforderlich - Teilhabe für alle in Form von gemeinschaftlichen Infrastrukturen zur Verfügung stehen.
Eine Kernfrage muss lauten: Sind Menschen in der Lage, ihr Leben mit eigenen Mitteln und durch ihre eigenen Entscheidungen so zu gestalten, dass sie klimaneutral leben können?
Anders gefragt: Können sich Haushalte die notwendigen Investitionen in eine Solaranlage, Batteriespeicher, Wärmepumpe, Wärmedämmung, effiziente Haushaltsgeräte, Ladesäule und E-Auto leisten? Können Sie ihren Lebensstil ändern? Sind sie - da wo das möglich ist - in der Lage, gemeinschaftliche Lösungen, wie z.B. den Bau eines Wärmenetzes oder eines Bürgerwindparks, voranzubringen? Sind ihre Vermieter, Stadtwerke und Kommunen in der Lage und bereit, notwendige Investitionen zu tätigen? Gibt es genug Handwerker und Baukapazitäten? Die wenigsten dieser Fragen lassen sich für Alle mit ja beantworten.
Für sehr viele Haushalte ist bislang nicht klar aufgezeigt, wie sie aus eigener Kraft klimaneutral werden können. Die Höhe der erforderlichen Investitionen in klimaneutrale Wärme und Mobilität übersteigt ihre Investitionsmöglichkeiten oftmals bei Weitem.
Gerade einkommensärmere Haushalte sind besonders von diesem Investitionsdilemma betroffen. Obwohl sie insgesamt meist sehr viel weniger Emissionen verursachen, werden sie im Vergleich höher belastet und können in eine Kostenfalle geraten. Sie fahren ältere Gebrauchtwagen mit hohem Verbrauch und leben in unsanierten Wohnungen mit höheren Heizungskosten. Sie können sich nur ältere und günstigere Haushaltsgeräte leisten. Sie sind auf günstige Lebensmittel mit einem oft schlechteren ökologischen Fußabdruck angewiesen.
Subventionen und Förderprogramme müssen auch für Haushalte passen, die nicht über genug eigene Mittel und Informationen verfügen. Und umgekehrt gilt: Beim notwendigen Abbau klimaschädlicher Subventionen müssen Verteilungswirkungen mit in den Blick genommen werden.
Kompensationsinstrumente wie das Klimageld können einen Beitrag leisten, um temporär zusätzliche finanzielle Belastungen eines steigenden CO2-Preises auszugleichen bis fossilfreie Alternativen in ausreichendem Ausmaß zur Verfügung stehen. Sie geben aber keine Antwort auf das Investitionsdilemma. Die erwarteten pro-Kopf Transfers versetzen die meisten Haushalte nicht in die Lage, die notwendigen Investitionen zu tätigen und Lock-in-Effekte zu überwinden. Differenzierte Direktzahlungen können eine Möglichkeit bieten, die zur Verfügung stehenden Mittel effizient einzusetzen, zielgerichtet zu entlasten und weiterhin Spielräume für Investitionen zu erhalten.
Dazu kommt: Einzelne Haushalte und Unternehmen können gar nicht volkswirtschaftlich effizient handeln, wenn die beste Lösung eine gemeinschaftliche oder öffentliche Infrastruktur darstellt. Einzelne Mieter können ihre Wohnung nicht sanieren, sondern sind auf ihre Vermieter angewiesen. Hausbesitzer können ein Wärmenetz nicht selbst bauen und Autofahrer keine Bus- oder Bahnlinie betreiben.
Klimapolitische Maßnahmen müssen so gestaltet werden, dass sie Menschen ein klimaneutrales Leben ermöglichen und nicht einfach verordnen.
Klimaschutz muss als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden werden. Leistungsfähige gemeinschaftliche und öffentliche Infrastrukturen sind die wichtigste Voraussetzung für sozial gerechten Klimaschutz. Der Aufbau von Wärmenetzen und der flächendeckende Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sind oft der effizienteste Weg, um klimaneutrale Alternativen zu ermöglichen. Und für die meisten Haushalte sind öffentliche Infrastrukturen die einzige Möglichkeit, überhaupt klimaneutral leben zu können. Hier wird der notwendige Perspektivwechsel am deutlichsten.
Öffentliche Infrastrukturen sind Lösungen für Alle. Wo Wärmenetze und ÖPNV zur Verfügung stehen, sind wichtige Voraussetzungen für alle Haushalte geschaffen, um klimaneutral zu werden, unabhängig von ihren individuellen Lebenslagen. Gemeinschaftliche Lösungen sind in den meisten Fällen die volkswirtschaftlich effizientesten Lösungen. Mit ihnen kann gesamtgesellschaftlich größerer und nachhaltigerer Wohlstand ermöglicht werden.
Das Problem: Die bisherige Klimapolitik mit dem Fokus auf individuelle Anreize steht im Konflikt mit der Notwendigkeit, öffentliche oder gemeinschaftliche Infrastrukturen bereitzustellen. Je mehr Haushalte individuelle Anpassungsstrategien verfolgen, desto unwahrscheinlicher wird eine gemeinschaftliche Lösung. Wenn erst einmal 40 Prozent aller Haushalte in einem Quartier eine Wärmepumpe haben, wird das Wärmenetz als gemeinschaftliche Lösung teurer und die Umsetzung unwahrscheinlicher.
Dieser Effekt gilt auch umgekehrt: Je mehr Haushalte nicht mehr auf Gas- oder Strom-Infrastruktur angewiesen sind, weil sie mit Solaranlagen und Wärmepumpen in ihre eigene Klimaneutralität investieren konnten, desto höher sind die verbleibenden Kosten für die Haushalte, die weiter auf das Netz angewiesen sind. Ähnliches gilt für den ÖPNV und den Umstieg auf E-PKW.
Öffentliche oder gemeinschaftliche Infrastrukturen entstehen nur, wenn leistungsfähige Gemeinwesen diese als Teil einer umfassenden Daseinsvorsorge schaffen. Einzelne Haushalte können diese nicht selbst bereitstellen, da sie nicht in der Lage sind, die damit verbundenen kollektiven Handlungsdilemma zu überwinden. In vielen Bereichen müssen im Rahmen der Klimatransformation private Güter durch öffentliche Güter ersetzt werden.
Leistungsfähige gemeinschaftliche und öffentliche Infrastrukturen sind eine zentrale Voraussetzung für sozial gerechten Klimaschutz. Sie müssen gegenüber individuellen Anpassungsstrategien priorisiert werden.
Das Gemeinwesen in der Rolle des Staates oder anderer kollektiver Organisationen ist das Rückgrat sozial gerechter Klimapolitik. Damit das Gemeinwesen diese Rolle spielen kann, muss es fit gemacht werden.
Der notwendige öffentliche Investitionsbedarf ist signifikant und kann nicht im Rahmen der bestehenden öffentlichen Haushalte getragen werden.
Denn die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen und relevanten Infrastrukturen konkurriert vor allem auf Ebene der Länder und Kommunen mit Investitionen in soziale Infrastruktur wie Schulen, Kitas oder Gesundheit und Pflege. Sozial gerechter Klimaschutz erfordert deshalb zusätzliche Mittel. Er darf nicht zu Lasten sozialer Infrastruktur finanziert werden.
Die wirtschaftliche Situation der Kommunen und Stadtwerke entscheidet darüber, ob Nahverkehr und Wärmenetz vor Ort ausgebaut werden können. Schlechter gestellte Kommunen mit hohem Anteil an einkommensschwächeren Haushalten können weniger in die notwendigen Infrastrukturen investieren.
Klimaschutz erfordert zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten für öffentliche und gemeinschaftliche Infrastrukturen durch Steuereinnahmen und Kreditfinanzierung und dem Umbau klimaschädlicher Subventionen. Diese Mittel müssen vor allem Ländern und Kommunen als Träger der maßgeblichen Infrastrukturen zur Verfügung stehen.
Bei der Finanzierung geht es im Kern um die Frage, wer die notwendigen Investitionen tätigt und finanziert. Denn sie müssen in jedem Fall getätigt werden. Entweder müssen einzelne Haushalte die Investitionen schultern und im Regelfall durch Schulden finanzieren, oder die öffentliche Hand finanziert die Investitionen durch höhere Steuern und Kredite. Aus einer Perspektive der sozialen Gerechtigkeit ist in dieser Konstellation die staatliche Finanzierung vorzuziehen, weil Lasten gerechter verteilt werden können. Hinzu kommt, dass insbesondere bei Netzinfrastrukturen gemeinschaftliche Lösungen wie Wärmenetze oder ein gut ausgebauter ÖPNV oftmals den effizienteren Weg darstellen.
Die neuen Aufgaben der Daseinsvorsorge erfordern aber nicht nur zusätzliche Finanzmittel, sondern ein Upgrade der Staatskapazität. Kommunen und Stadtwerke müssen in die Lage versetzt werden, zu planen, zu steuern, zu bauen und die erforderlichen gemeinschaftlichen Infrastrukturen zu betreiben.
Die finanzielle und organisatorische Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens muss als Rückgrat sozial gerechter Klimapolitik gestärkt werden. Dafür bedarf es Kredite und sozial gerechter Steuererhöhungen.
In der Klimapolitik in Deutschland geht es nicht mehr um das „Ob?“, sondern um das „Wie?“. Es besteht ein breiter Konsens in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, dass wir unsere Klimaziele erreichen müssen. Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden.
Gerade aus einer sozialen Perspektive heraus ist ambitionierter Klimaschutz unerlässlich. Gleichzeitig ist nicht jede Art von Klimaschutz auch sozial gerecht. Klimapolitische Maßnahmen wirken direkt und indirekt auf die Einkommens- und Vermögensverteilung. Die Haushalte in Deutschland haben ganz unterschiedliche Voraussetzungen, klimapolitische Maßnahmen umzusetzen.
Klimapolitik kann nur erfolgreich sein, wenn ihre Verteilungswirkungen und sozialen Auswirkungen objektiv und subjektiv akzeptabel sind.
Für die Umsetzung des Ziels Klimaneutralität 2045 braucht es deshalb einen Perspektivwechsel:
Klimapolitische Strategien müssen von Anfang an Alle und das Ganze in den Blick nehmen. Eine klimapolitische Strategie, die nicht für alle Menschen Lösungen enthält und den Pfad zur Klimaneutralität klar beschreibt, können wir uns nicht mehr leisten.
Klimapolitische Maßnahmen müssen so gestaltet werden, dass sie Menschen ein klimaneutrales Leben ermöglichen und nicht einfach verordnen.
Leistungsfähige gemeinschaftliche und öffentliche Infrastrukturen sind eine zentrale Voraussetzung für sozial gerechten Klimaschutz. Sie müssen gegenüber individuellen Anpassungsstrategien priorisiert werden.
Die finanzielle und organisatorische Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens muss als Rückgrat sozial gerechter Klimapolitik gestärkt werden. Dafür bedarf es Kredite und sozial gerechter Steuererhöhungen.